Projektbereich A: Selbstorganisierte und biofunktionelle Nanostrukturen

Die kontrollierte Strukturierung von Materialien im Nanometerbereich ist ein zentraler Aspekt der Nanotechnologie. Moderne Präparationsmethoden ermöglichen die gezielte Herstellung und Manipulation von Materialien und einzelnen Strukturen mit atomarer Präzision (Größe, Form und Zusammensetzung). Eine besonders elegante Strategie zur kontrollierten Herstellung von Nanostrukturen mit spezifischen Eigenschaften basiert auf dem so genannten „bottom-up“-Ansatz. Nach diesem Prinzip werden die funktionellen Strukturen durch Selbstorganisationsprozesse unter Ausnutzung von nichtkovalenten molekularen Wechselwirkungen wie Wasserstoffbrückenbindung, van-der-Waals-Bindung, π–π Stapelung, aber auch Metall-Liganden-Koordination verwirklicht. Diese (supra)molekularen Nanostrukturen sind besonders attraktiv aufgrund ihrer vielfältigen Vorteile wie hoher Parallelität in der Herstellung und extremer Variabilität in Hinsicht der realisierbaren physikalischen, chemischen und biologischen Eigenschaften. Von besonderem Interesse sind hierarchisch aufgebaute Strukturen, da hierbei ein direkter Zusammenhang zwischen realisierter Funktion und struktureller Komplexität erreicht werden kann. Dies wird eindrucksvoll durch das Vorbildsystem Natur betätigt. In der molekularen Biologie werden zahlreiche spezifische Funktionalitäten durch hierarchische strukturelle Gliederungen erreicht. Dort setzen sich individuelle (funktionelle) Einheiten, ihrerseits bestehend aus einer wohl definierten Gruppe an Untereinheiten, zusammen zu einem komplexeren Ganzen. Der hohe Grad an Komplexität eines Systems zusammen mit seinen generischen Eigenschaften lässt sich so auf die Beherrschung einiger weniger, kontrollierbarer Parameter, d.h. die Steuerung der molekularen Wechselwirkungen, zurückführen.

Aufbauend auf den im Kompetenznetz Funktionelle Nanostrukturen erzielten Ergebnissen zur Herstellung von möglichst kleinen räumlichen Anordnungen anorganischer und organischer Materialien besteht die Herausforderung des nächsten Förderabschnitts darin, diese Kenntnisse auf hierarchisch geordnete Nanostrukturen zu erweitern, um die Vielfalt der Eigenschaften von funktionalen organischen und biologischen Materialien (Proteinen, Nukleinsäuren und Lipiden) ausschöpfen zu können. Komplexere Nanostrukturen können vorzugsweise als selbstorganisierende Objekte hergestellt werden, wobei die Kenntnis der biologischen Parameter dieser Geneseprozesse für technische Anwendungen von zentraler Bedeutung ist. Die ortsselektive Bindung von Bauelementen an Oberflächen sowie deren gezielte Funktionalisierung wird in den vorgeschlagenen Projekten auf vielfältige Weise untersucht, woraus konvergente Lösungen dieser allgemeinen Probleme zu erwarten sind. Das enorme Anwendungspotenzial der Bestrebungen liegt in der Biosensorik und -analytik, der molekularen Elektronik und Aktuatorik, der Stoffumwandlung (Katalyse) sowie dem biokompatiblen Design von Materialien. Die Spannbreite der zu untersuchenden Nanoobjekte reicht von anorganischen Legierungen (A3, A4) über organische Moleküle (A1, A2, A5) zu biologischen Komplexen wie DNA (A7), Pflanzenviren (A6), Zytoskelett (A9) und Membranporen (A8, A10). Neben der gezielten Positionierung der Bauelemente nimmt die Regelbarkeit dieser Einheiten einen zentralen Platz ein. Die Steuerung durch Lichtpulse (A1, A5, A6, A7) spielt dabei ebenso eine Rolle wie die Wirkung von elektrischen und magnetischen Feldern (A1, A5, A8, A10).

In Projekt A1 werden neue Strategien entwickelt um molekulare Komponenten durch hierarchische Selbstorganisation auf Oberflächen zu komplexen Nanostrukturen zusammenzufügen, die über spezifische Eigenschaften verfügen. Durch die Einbindung von schaltbaren Einheiten, d.h. durch äußere Parameter wie Licht und elektrische Felder in ihren geometrischen wie elektronischen Eigenschaften veränderbaren Elementen, sollen die Nanostrukturen gezielt veränderbar werden. Die Entschlüsselung und gezielte Kontrolle der molekularen Wechselwirkungen auf mikroskopischer Ebene, die zur Strukturbildung und damit zur Selbstorganisation führen sind wichtige Aufgaben und Ziele des Projekts und damit von zentraler Bedeutung für das Kompetenznetz, insbesondere den Projektbereich A.

Selbstorganisationsprozesse sind ideal zur Erzeugung von Oberflächen mit chemischer Heterogenität vom atomaren über den Nanometer- bis hin zum Mikrometermaßstab. Im anorganischen Bereich können durch diese Strukturen neuartige katalytische Eigenschaften erzeugt werden. Insbesondere bimetallische Systeme sind katalytisch hoch aktiv und können durch die Nanostrukturierung in ihren Eigenschaften gezielt eingestellt werden. In den Projekten A3 und A4 werden diese Systeme sowohl experimentell als auch theoretisch untersucht. Ziel ist ein detailliertes Verständnis der Atomverteilung in bimetallischen Oberflächenlegierungen zu erhalten und die chemischen und katalytischen Eigenschaften zu charakterisieren und auf nanoporöse Systeme zu übertragen. In Projekt A5 werden umgekehrt katalytische Prozesse gezielt zur Synthese von neuartigen polymeren Nanokristallen eingesetzt und deren Potenzial für die Herstellung dünner Filme untersucht.

Von übergreifendem Charakter in den Projekten A1A5 sind fundamentale Untersuchungen zur Adsorption und zum Verhältnis von Substrat-Adsorbat-Wechselwirkung zu lateraler Adsorbatwechselwirkung und deren Einfluss auf die Selbstorganisationsprozesse. Angestrebt wird sowohl ein qualitatives Verständnis der strukturbildenden Prozesse als auch im Falle einfacher Modellsysteme eine quantitative Bestimmung der relevanten Bindungsstärken. Projekte A1 und A5 greifen auch Neuland bei der Wahl der Substrate beziehungsweise der strukturbildenden molekularen Bausteine auf. Die Verwendung von Graphen als gatterbares Substrat ermöglicht die gezielte Beeinflussung der Selbstorganisationsprozesse durch die Kontrolle der Elektronendichte sowie durch externe elektrische Felder (A1). Nanoskalige Polymerkristalle bieten die Möglichkeit externe Funktionalisierung und internen Strukturaufbau miteinander zu verbinden und elektrische und magnetische Dipolmomente gezielt einzubauen (A5).

Den Projekten mit biologischem Schwerpunkt ist gemein, dass alle die Selbstorganisations­fähigkeiten von Biomolekülen im nanoskaligen Raum zum Thema haben. Experimentell sind sie demgemäß durch gemeinsame Techniken zur Reinigung von Proteinen, Nukleinsäuren und Lipiden verbunden. Insbesondere die Verwendung von Fluoreszenzmarkierungen in unterschiedlichen Nachweissystemen eröffnet die Möglichkeit, die Selbstorganisations­prozesse am individuellen Komplex zu studieren (A6, A7, A10). Darüber hinaus liefern Weiterentwicklungen der Rasterkraftmikroskopie hervorragende Möglichkeiten, die Eigenschaften der Komplexe zerstörungsfrei und in ihrer Dynamik zu untersuchen (A6, A9, A10).

Um die Ziele erreichen zu können, werden auf den verschiedenen hierarchischen Ebenen der Komplexierung von Biomolekülen Ergebnisse erwartet, die durch ihre wechselseitige Referenz einen synergistischen Wissenszuwachs ergeben: An der Schnittstelle von anorganisch/organischen zu biologischen Stoffen ist die Bindung an Grenzflächen experimentell wie theoretisch vertieft zu entschlüsseln. Fundamentale Wechselwirkungen werden in Projekt A1 mittels Rastertunnelmikroskopie mit höchster räumlicher Auflösung untersucht. Das Projekt A2 konzentriert sich auf die elektrochemischen Bedingungen der Bindung von Cystein an Gold und Silberkristalle. Da Cystein in vielen biologischen Komplexen als metallbindende Aminosäure natürlicherweise auftritt und häufig zur Fixierung von Proteinen an Metallober­flächen technisch genutzt wird, werden die Ergebnisse für die Positionierung von größeren biologischen Komplexen in verschiedenen Kontexten (A6, A7, A8, A10) nützlich sein.

Auf der nächst höheren Hierarchieebene wird die Programmierbarkeit von DNA verwendet, um Fluorophore in definierte Nachbarschaft zu bringen (A7). Dabei wird die Vernetzung von mehreren DNA-Molekülen angestrebt, um so künstliche Lichtsammelkomplexe zu generieren. Durch organisch-chemische Modifikationen der Nukleotide und ihrer Liganden sollen die Starrheit der DNA-Netze erhöht und die Energieübertragungsraten optimiert werden. Für die strukturellen Aspekte ergeben sich daraus direkte Bezüge zu A6 und für die Fluoreszenztransferenergie zu A10.

Der Kontakt zur festen Grenzfläche schränkt häufig die funktionellen Möglichkeiten von Biomolekülen ein, weil ihre Beweglichkeit und native Struktur wesentliche Voraussetzungen für die Funktion sind. Durch den Aufbau von hierarchischen Strukturen, die einen Abstand zwischen festem Substrat und biologisch aktivem Molekül erzeugen, können die Funktionspotenziale der biologischen Komplexe erweitert werden. Dieser Grundgedanke wird durch Lösungsvorschläge in A6, A8 und A10 weiterverfolgt. Ähnliche Ansätze werden auch für weniger komplexe organische Bausteine in A1 und A5 verfolgt. Mit Hilfe von Pflanzenviren sollen Nanoarrays assembliert werden (A6), deren Bausteine senkrecht auf der Substratoberfläche wachsen. Mit Hilfe von Nukleinsäurehybridisierungen (wie in A7) können darüber hinaus Bäumchenstrukturen generiert und verschiedene funktionelle Einheiten gekoppelt und permutiert werden. Durch organisch-chemische Programmierung der Substratoberflächen wird eine gezielte Positionierung möglich, die den Nanoarray auch adressierbar für Bioanalyte macht. Die Ergebnisse, vor allem im Hinblick auf die spezifische Bindung von Fluorophoren, können darüber hinaus konvergente Lösungen für Energietransferprobleme und starre Konstruktion von Lichtsammelfallen (A7) bieten.

In ähnlicher Weise ist die freie Zugänglichkeit von selbstassemblierenden Nanoporen in A8 thematisch durch die Verwendung von Liposomen und deren Transfer auf nano­strukturierte Lochfolien auf einem Chip lösbar. Die vorgeschlagene Regelung der Kanäle durch Membranpotentiale eröffnet darüber hinaus die Möglichkeit, die Porengröße systematisch zu verändern, und ihr modularer Aufbau aus verschiedenen Proteinvorstufen lässt eine große Palette von kombinatorischen Variationen entstehen, die unabhängig von ihrem biologischen Kontext vielfältige technische Optionen für nano­skopische Filtermaterialien und Sensoren eröffnen. Diese Forschungsrichtung ist eng mit den Versuchen in A10 über die Nutzung von Transportkanälen und Pumpen verknüpft, sowie durch die Regelung der Systeme durch Membranpotentiale.

Neben ihrer Porenfunktion kommen ATP-getriebenen biologischen Komplexen Motoreigenschaften zu, die in A10 vergleichend für eine ATPase und eine Sec-Translokase untersucht werden sollen. Durch neue Ansätze (ABEL Trap, festkörpergestützte Lipidmembran) werden die dynamischen mechanischen Eigenschaften mit Hilfe von Fluoreszenz-Resonanz unter Verringerung der störenden Einflüsse von Grenzflächen ermittelt. Die Untersuchung der Einflüsse des Membranpotentials auf die Motoreneigenschaften erlaubt zudem die naturnähere Analyse des hohen Wirkungsgrades des Energietransfers. Vermittelt durch die Einzelmolekülspektroskopie und den Fluoreszensenergietransfer ergeben sich vielfältige Verknüpfungen zu anderen Projekte (A6, A7, A8).

Auf der höchsten Organisationsstufe sollen die Wechselwirkungen von nanostrukturierten Oberflächen mit ganzen Zellen und die Folgen dieser Kontakte für die mechanischen Eigenschaften des Zytoskeletts ermittelt werden (A9). Durch gezielte, lichtstrahlinduzierte Modifikationen der Haftpunkte wird die dynamische Veränderung der Zelloberfläche analysierbar. Damit ergeben sich viele Berührungspunkte mit anderen Projekten, die die Adsorption von biologischen Komplexen an Feststoffe untersuchen (A2, A6, A8, A10).